Mark Seeger
(Vertrauenskörperleiter der IG Metall bei Volkswagen in Braunschweig)
Kim-Marvin Trippler
(stellvertretender Vertrauenskörperleiter der IG-Metall bei Volkswagen in Braunschweig)
Am Wochenende vom 30. November und 1. Dezember 2019 will die AfD ihren Bundesparteitag in der Volkswagenhalle in Braunschweig abhalten. Die IG Metall ruft zur Demonstration des Bündnisses gegen Rechts am Samstag, dem 30. November vor der Halle und in der Stadt auf, um unsere Sorge und unseren Protest über den Rechtsruck in unserem Land zum Ausdruck zu bringen.
Der Vertrauensmann Lars Hirsekorn beteiligt sich an den Protesten und motiviert seine Kolleginnen und Kollegen zur Teilnahme.
Kim-Marvin Trippler: Hallo Lars, du rufst ja offen dazu auf, dass sich die Kolleginnen und Kollegen an den Protesten beteiligen sollen. Was motiviert dich dazu?
Lars Hirsekorn: Zum Ersten denke ich natürlich, dass jeder Mensch das gleiche Recht hat gut zu leben und wenn ihm das abgesprochen wird, weil er eine andere Hautfarbe oder Herkunft hat, ist das schon mal etwas, was dem gewerkschaftlichen Gedanken von gemeinsamer Stärke durch Zusammenhalt zuwider läuft. Und genau das macht die AfD. Aber leider begreifen das viele Kolleginnen und Kollegen nicht.
Kim-Marvin Trippler: Was meinst Du damit? Meinst du unter den Kolleginnen und Kollegen gibt es auch Rassismus?
Lars Hirsekorn: Ja sicher, es wäre ja Irrsinn zu glauben, dass das nicht so ist.
Und das bezieht sich ja nicht nur auf die Deutschen. Da sind auch genug Türken, die glauben, sie wären das geilste Volk unter der Sonne und die verächtlich auf Kurden und Araber herab schauen. Und diese wiederum schauen oft auf die Menschen aus dem südlichen Afrika herab. Rassismus ist leider kein deutsches Alleinstellungsmerkmal.
Das schlimme ist, dass viele denken, das könne ihnen egal sein, ob Parteien wie die AfD oder auch die AKP in der Türkei an die Macht kommen.
Mark Seeger: Du sprichst damit natürlich ein generelles Problem an. Rassismus kennt keine Grenzen. Aber wo liegen Deiner Meinung nach die Gründe, warum sich unsere Kolleginnen und Kollegen an den Protesten gegen den Bundesparteitag der AfD beteiligen sollten, bzw. warum sie etwas gegen die AfD haben sollten?
Lars Hirsekorn: Das Problem liegt im grundsätzlichen Menschenbild dieser Partei. Ihr Menschenbild ist negativ und sozialdarwinistisch geprägt. Sprich, „der Starke überlebt, der Schwache geht unter“. Das ist eine Ideologie, für die viele unserer Kolleginnen und Kollegen empfänglich sind, weil sich natürlich niemand selbst gerne bei den Schwachen verordnet.
Dieses Gefühl der eigenen Stärke wird teilweise sogar noch von der eigenen Gewerkschaft aufgegriffen, was ich für äußerst gefährlich halte. So habe ich in der Tasche einen IG Metallstift auf dem „Alleine stark. Gemeinsam unschlagbar.“ steht.
Mark Seeger: Ist das nicht ein wenig übertrieben und weit hergeholt. Die IG Metall stärkt den Einzelnen, aber erreicht mehr, wenn wir uns im Kollektiv zusammenschließen. Nur gemeinsam entwickeln wir Stärke!
Lars Hirsekorn: Ja, das stimmt. Aber es wird trotzdem behauptet, dass du alleine stark bist. Für das Privatleben stimmt das bei einigen durchaus. Da ist der gute Sportler oder der große Unterhalter, der bei jeder Feier im Mittelpunkt steht. Aber entscheidend für unsere Betrachtung ist doch die Stärke oder Schwäche jedes einzelnen im Produktionsprozess. Jeder von uns ist doch gezwungen, regelmäßig arbeiten zu gehen, um sich seinen kleinen Traum vom Glück erfüllen zu können. Da kann eine Wirtschaftsflaute oder auch die persönliche Krise ganz schnell zum „falling down“ werden. Wegrationalisiert, krank oder ein persönlicher Verlust. All diese Fälle lassen uns ganz schnell vom großen Macker auf die reale Größe schrumpfen.
Kim-Marvin Trippler: Genau dafür aber haben wir Tarifverträge und Gesetze. Sie schützen den Einzelnen vor solchen Schicksalsschlägen. Wir haben mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung zumindest auch eine Absicherung bei Krankheit. Deine Analyse scheint mir etwas arg zugespitzt.
Lars Hirsekorn: Im Gegenteil! Der Großteil der AfD würde gerne die Krankenversicherung vollständig privatisieren, weil das jetzige System angeblich zu „sozialistisch“ ist und die Leistungsträger zu stark belastet.
Bei Leistungsträger fühlt sich natürlich jeder, der hier täglich seine Arbeitskraft und sein Hirnschmalz einbringt angesprochen: „genau, ich zahle viel zu viel“. Aber wir sind mit „Leistungsträgern“ gar nicht gemeint. Weder der Arbeiter an der Montagelinie, noch der Ingenieur in der Produktentwicklung. Leistungsträger im Sinne dieser sozialdarwinistischen Position sind die Firmenbesitzer ab 200 – 300 Angestellten. Die sollten entlastet werden, nämlich indem sie ihren Anteil an unserer Krankenversicherung nicht mehr zahlen müssen. Und das gilt für alle Sozialversicherungsarten.
Kim-Marvin Trippler: Ok, das würde natürlich jeden von uns treffen. Im Übrigen nicht nur im Bereich der Krankenversicherung, sondern auch bei den Renten. Was hast du sonst noch für Bedenken? Und mal ganz konkret, warum sollten sich die Gewerkschaften gegen die AfD engagieren?
Lars Hirsekorn: Aus Sicht dieser Partei sollten Gewerkschaften nicht mehr viel zu melden haben. Die starke Mitbestimmung ist ihnen ein Dorn im Auge. Damit würden grundlegende Dinge wie Lohn, Arbeitszeit und Arbeitssicherheit den Bach runter gehen. Ich will jetzt meine Gewerkschaft nicht allzu sehr loben. Da gibt es viele Punkte, die wirklich verbesserungswürdig sind. Und wir haben auch leider nicht die inhaltliche Stärke, die oftmals propagiert wird. Die Entstehung der AutoVision bzw. heute Volkswagen Group Services und die permanente Wochenendarbeit sind Ausdruck unserer Schwäche und hätten nicht passieren dürfen.
Mark Seeger: Da haben wir eine unterschiedliche Auffassung von dem was Schwächen und Stärken sind. Das würde ich gerne mal mit dir diskutieren. Lass uns aber nochmal auf den Gedanken der Schwächung von Gewerkschaften zurückkommen. Was meinst du damit?
Ich will an dieser Stelle gerne wieder die Türkei als Beispiel heranziehen, was uns blühen könnte, wenn die AfD an die Macht kommt. Unter der AKP haben oppositionelle Gewerkschafter nicht mehr viel zu melden. Tausende sitzen im Knast und in den Betrieben regieren die Chefs allein und nach ihrem Willen. Der Staat hat sich hoch verschuldet, etwa, um die Kanalisation in Istanbul zu bauen. Dafür wurde Erdogan ja zu Recht gefeiert, aber die Gewinne dieser Verschuldung wurden völlig in die Taschen der großen Bauunternehmer gesteckt. Immerhin wurde ein Flughafen fertig gestellt, wenn auch auf Pump. Das schafft ja auch nicht jeder!
Es bleibt nur zu hoffen, dass der Flughafen für die Gäste sicherer ist, als für seine Erbauer. Allein der Bau des Istanbuler Flughafens hat offiziell 55 Arbeitern das Leben gekostet, von den Invaliden ganz zu schweigen.
Mark Seeger: So sieht es also aus, wenn die Gewerkschaften nichts mehr zu sagen haben?
Lars Hirsekorn: Ja! Das Prestigeprojekt ist fertig, aber der Preis war zu hoch.
Das sollten die Kolleginnen und Kollegen bedenken, wenn sie die AfD oder andere Parteien am rechten Rand wählen. Der Preis, den die Lohnabhängigen zahlen müssen, wird sehr hoch sein. Und Querulanten wie mich, wird es auch nicht mehr geben.
Kim-Marvin Trippler: Damit verweist du natürlich auf einen Teil der deutschen Geschichte, als die Nazis die Gewerkschaften zerschlugen. Die Nazis schalteten am 2. Mai 1933 die Gewerkschaften gleich. Funktionäre kamen in die KZs oder passten sich an. Ein Teil ging in den Untergrund. Damit so etwas nicht mehr passiert, wollen wir ja am Wochenende gegen den Bundesparteitag demonstrieren! Was sagst du deinen Kolleginnen und Kollegen?
Lars Hirsekorn: Wehret den Anfängen! Es wird Zeit, auf die Straße zu gehen!
Kim-Marvin Trippler/ Mark Seeger: Danke für das Interview. Wir sehen uns bei der Demonstration am Samstag!
Ab 7:00 Uhr rund um die Halle Proteste und Aktionen
9:00 Uhr Auftaktkundgebung Europaplatz (Treffpunkt Europaplatz/ IG Metall Lautsprecherwagen)
11:00 Uhr Großdemonstration
Start: Europaplatz Ende: Schlossplatz. Route: Gieseler, Güldenstraße, Lange Straße, Küchenstraße, Hagenbrücke, Hagenmarkt und Bohlweg
Ca. 13:00 Uhr Abschlusskundgebung Schlossplatz