Kritisch nachgefragt - Interview mit Uwe Fritsch - Jahresbilanz 2019


 

Mark Seeger

 

(Vertrauenskörperleiter der IG Metall bei Volkswagen in Braunschweig)


"Beschäftigungssicherung bleibt das wichtigste Ziel von Betriebsrat und IG Metall"


Mark Seeger:  Auf der letzten Betriebsversammlung des Jahres hast du über die aktuelle Situation bei Volkswagen Berichtet. Was waren dabei die wichtigsten Punkte für dich?

 

Uwe Fritsch: Die Automobilindustrie ist unter starken Druck. Autoherstellern und Zulieferern sind durch Nachhaltigkeit und den notwendigen Klimaschutz gefordert. Hinzu kommt aktuell die konjunkturelle Talfahrt auf fast allen Märkten. Viele Unternehmen reagieren streichen Arbeitsplätze oder legen drastische Sparprogramm auf und andere gehen sogar noch radikaler vor. Wie beispielsweise Continental in Hannover. Der Aufsichtsrat bei Conti hat gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter beschlossen, drei Werke zu schließen, davon eines in Deutschland. Insgesamt sollen rund 6.000 Arbeitsplätze vernichtet werden, trotz massiver Proteste der Beschäftigten und der IG Metall. Das ist leider der Normalfall und in den meisten Betrieben die gängige Praxis bei Krisenbewältigung und Transformation. Vor diesem Hintergrund muss man den Zukunftspakt bei Volkswagen und jetzt die Vereinbarungen im Rahmen der „Roadmap digitale Transformation“ bewerten. Bei uns sind Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung gleichrangige Ziele. Bei Volkswagen, nehmen wir alle mit in der Transformation. Da fällt niemand durch das sprichwörtliche Rost.

 

Mark Seeger:  Wir haben vor ziemlich genau drei Jahren einen Zukunftspakt für das Unternehmen abgeschlossen. Warum jetzt noch einmal die Vereinbarung zu Roadmap Digitale Transformation?

 

Uwe Fritsch: Der Zukunftspakt war unsere Antwort auf die Belastungen aus dem Dieselskandal. Ziel war es, trotz der hohen Belastungen handlungsfähig zu bleiben. Zum einen sind die Umstellung auf die E-Mobilität und die Einhaltung der scharfen CO-2-Grenzwerte zu stemmen. Zum anderen brauchen Kolleginnen und Kollegen Sicherheit. Beides macht der Zukunftspakt möglich. Das Volkswagen jetzt so gut mit der Krise zurechtkommt, hat auch viel mit dem Zukunftspakt zu tun. Ende 2016 haben wir in großer Solidarität und Einmütigkeit zwischen den Standorten, aber auch den Bereichen in unserem Werk diesen Zukunftspakt durchgesetzt. So machen wir es jetzt auch mit den Vereinbarungen zur “Roadmap digitale Transformation“ und der „Road to 6%“ für die Komponente. Wir brauchen auch für die Zeit nach dem Auslaufen des Zukunftspaktes Produkt- und Investitionszusagen für die Standorte und vor allem Beschäftigungssicherung. Die gilt jetzt bis Ende 2029.

 

Mark Seeger: Wie bewertest Du die Ergebnisse der Vereinbarung vor allem für unseren Standort?

 

Uwe Fritsch: Die Ergebnisse sind ein starkes Signal an die Belegschaft und für den Standort Braunschweig. Noch nie ist in Braunschweig so viel investiert worden, wie mit dieser Planungsrunde. In diesem und den kommenden fünf Jahren sind über eine Milliarde Euro für den Standort vorgesehen. Auch bei den Entwicklungsaufwendungen legen wir kräftig zu. Allein in den nächsten beiden Jahren zusammen mehr als 150 Millionen Euro! Die technische Entwicklung hat für die Beschäftigungssicherung am Standort eine strategische Bedeutung. Nur wer entwickelt, fertigt langfristig auch. Zudem gibt es eine Reihe wichtiger Produktzusagen, wie die 2. Generation der MEB Batterie, die Lenksysteme für die PPE Plattform. Das ist sind die Plattformen für große AUDI und Porsche Fahrzeuge. Der Anlagenbau wird weiter ausgebaut und wird jede Menge mit dem Bau von Prüfständen in der Batteriemontage zu tun haben. Schließlich werden wir auch bei den Entwicklungsprojekten zum Thema Autonomes Fahren mitmachen.

 

 

Mark Seeger: Wie geht das zusammen, dass das Unternehmen eine Beschäftigungsentwicklung entlang der sogenannten demografischen Kurve plant, was ja nichts anderes bedeutet als sozialverträglicher Abbau von Arbeitsplätzen und der Zuführung von Leiharbeitnehmern?

 

Uwe Fritsch: Für mich ist erst einmal das Wichtigste, dass die Beschäftigung bei Volkswagen bis zum Ende des Jahres 2029 gesichert ist. Das ist in dieser Zeit keine selbstverständliche Garantie. Wie schon im Zukunftspakt, plant das Unternehmen einen Personalabbau entlang der demographischen Kurve. Darauf haben wir uns auch verständigt. Das heißt, dass der Abbau von Beschäftigung nur über die Nutzung von Altersteilzeit möglich ist. Konkret gilt das für die Jahrgänge 1962 bis 1964.

 

Das ist für die Betroffenen persönlich sehr gut. Gesamtgesellschaftlich werden aber diese Arbeitsplätze langfristig fehlen . Deshalb brauchen wir auch weiter die gewerkschaftliche Debatte um Arbeitszeitverkürzungen . Unser Tarifvertrag zur Zusatzvergütung mit der Möglichkeit des Wandelns von Geld in Freizeit ist dabei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

 

Im indirekten Bereich werden Tätigkeiten darauf hin überprüft, ob sie zukünftig entfallen können. Wenn Stellen gestrichen werden sollen, geht das nur nach den Regeln des Volkswagen Weges, am Ende vor der Umsetzung nur mit Unterschrift des Betriebsrates. Alle Bereiche und KCs profitieren von den Vereinbarungen und alle Bereiche tragen zur Umsetzung der demografischen Kurve bei.

 

Hintergrund für die Zuführung von Leiharbeitskräften ist der Weiterlauf des Golfes 7 in Wolfsburg bis voraussichtlich Mitte 2020. Das war bisher so nicht vorgesehen. Aber wegen der neuer Vertriebsplanungen muss auch die Komponente weiter zuliefern. Das trifft vor allem die Kunststoff-Fertigung. Mit den Zeitarbeitnehmern sorgen wir für notwendige Entlastung: Weil diese vorrangig in der KT eingesetzt werden, können von dort Beschäftigte auf neue Arbeitsplätze an anderen Stellen im Werk wechseln. Auch wenn das Gesamtfahrzeugprogramm leicht rückläufig ist, spüren wir in Braunschweig aktuell nur wenig davon. Wir sind weiter mit Volllast unterwegs. Deshalb unterstützen uns für eine begrenzte Zeit auch Studierende.

 

Mark Seeger: Was erwartet uns bei Volkswagen in Braunschweig im kommenden Jahr?

 

Uwe Fritsch: Bevor es im neuen Jahr weitergeht, wünsche ich allen Kolleginnen und Kollegen eine besinnliche Weihnachtszeit und einen schwungvollen Jahreswechsel. Wir werden auch in 2020 mit aller Kraft für unsere Interessen und Ziele einstehen. Dabei steht selbstverständlich die Beschäftigungssicherung ganz oben auf der Tagesordnung von Betriebsrat und IG Metall bei Volkswagen.