Interview im Rahmen der ersten „Online-VL-Schichtinformation“ am Mittwoch, den 8. April 2020
Mark Seeger: Wie würdest du die aktuelle Situation beschreiben?
Uwe Fritsch: Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Situation, die wir in dieser Form noch nicht erlebt haben. Sie ist beispiellos und mit nichts vergleichbar. Wir werden durch einen neuartiges Virus bedroht. Sämtliche gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und auch private Aktivitäten sind quasi von einem auf den anderen Tag zum Stillstand gekommen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind noch gar nicht absehbar. Klar ist aber schon jetzt, dass sie weit über die der Finanzkrise in 2009 hinausgehen werden. Die Coronakrise verlangt von uns allen einerseits Solidarität aber auch Disziplin (Einhaltung der Vorschriften). Miteinander und gleichzeitig Abstand halten!
Mark Seeger: Was bedeutet das für Volkswagen?
Uwe Fritsch: Die Coronakrise hat auch Volkswagen in eine außergewöhnliche Lage versetzt. Aktuell ruht in allen Werken bis auf wenige Ausnahmen die Arbeit. Der Absatz ist quasi vollständig zum Erliegen gekommen, auf Deutsch: Volkswagen verkauft so gut wie kein Neufahrzeug. Zum Glück haben wir das Instrument der Kurzarbeit. Das ist ein Mittel, um für eine gewisse Zeit mit dem Produktionsausfall umzugehen. Zudem gibt es bei Volkswagen eine gute Aufzahlungsregelung. Das hilft. So werden die Kosten der Krise nicht einseitig zu Lasten der Kolleginnen und Kollegen gehen.
Mark Seeger: Wie sehen die Planungen für einen konkreten Wiederanlauf aus?
Uwe Fritsch: Wir bereiten derzeit sehr sorgfältig und gewissenhaft den schrittweise Wiederanlauf bei Volkswagen auch in Braunschweig in den Wochen nach Ostern vor. Die Stabilität und Funktion der Lieferkette ist derzeit noch immer unsicher (z. B. sind Lieferungen aus Italien, Spanien u.a. absolut fraglich). Auch sind die Fertigungsprogramme derzeit noch völlig unübersichtlich. Wir erleben jetzt eine Diskussion darüber, wie das Ende des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Shutdowns aussehen kann und wie es gestaltet werden kann. Das betrifft auch Volkswagen.
Für uns hat die Gesundheit und der bestmögliche Schutz vor der Gefahr der Infektion oberste Priorität. Wir wollen auch, dass die Produktion wieder anläuft und damit die wirtschaftliche Grundlage von Volkswagen wieder hergestellt wird. Die Liquidität von Volkswagen reicht nicht unbegrenzt. Ein Wiederanlauf kann aber nur unter der Maßgabe stattfinden, dass der Schutz von Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit vor dem Corona-Virus Vorrang hat.
Mark Seeger: Wie kann das Aussehen bzw. wie stellst du dir das vor?
Uwe Fritsch: Ich sehe hier zwei Ansatzpunkte, die wir auch im Krisenstab intensiv diskutiert haben.
1. so wenig direkte und nahe Kontakte zwischen Menschen bzw. den Beschäftigten wie möglich und
2. die Einhaltung von Hygiene- und Schutzmaßnahmen (dazu gehören beispielsweise der Abstand von mindestens 1,5 Metern und dort, wo das arbeitsplatzbedingt nicht möglich ist, wird mit Mundschutz gearbeitet).
Der Betriebsrat ist intensiv daran beteiligt und kümmert sich um die Sicherheit für die Beschäftigten. Hierzu finden gerade Sicherheitsbegehungen der Arbeitsplätze statt. Auch werden bei einem Wiederanlauf nicht alle Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig wieder anfangen. Wir werden einen langsamen und gezogenen Anlauf erleben.
Mark Seeger: Wann und wie erfahren die Kolleginnen und Kollegen, wann sie wieder arbeiten müssen?
Uwe Fritsch: Das Unternehmen wird alle Beschäftigten anschreiben und über die aktuelle Lage informieren. In Braunschweig werden die jeweils Betroffenen vom Unternehmen bzw. den Vorgesetzten über ihre Arbeitsaufnahme informiert. Außerdem wird es genaue Hinweise und Unterweisungen, d. h. Verhaltensregelungen, geben (z. B. Abstand einhalten, jeder prüft zu Hause, ob er zur Arbeit gehen kann, Arbeitskleidung zu Hause anziehen und vieles mehr.) Ich bin sicher: wir bereiten uns sehr gut auf den schrittweisen Wiederanlauf vor und wir stellen den bestmöglichen Schutz der Kolleginnen und Kollegen sicher.
Mark Seeger: Derzeit kursieren viele frei erfundene Nachrichten durch die sozialen Netzwerke, wie z. B. die Nachricht von der Streichung des VW-Tarifbonus wegen der Corona-Krise. Wie sollten wir damit umgehen?
Uwe Fritsch: Zur Zeit verbreiten solche Lügen bei vielen Menschen Unsicherheit und Ängste. Es gibt sogar schon eine Debatte darüber, das Verbreiten von Fake News hart zu bestrafen. Normalerweise zeigt man solche „Meldungen“ einer Kollegin oder einem Kollegen und dann kommt man gemeinsam schnell zu dem Schluss: „Quatsch. Kannst Du löschen“. Aber unsere Zeit ist im Moment nun einmal nicht normal. Bitte schickt darum diese falschen Nachrichten – selbst wenn ihr sie schon als solche erkannt habt – nicht bei WhatsApp, Facebook oder sonst wo weiter, sondern legt sie in den Müll.
Zudem: Prüft die Quellen und informiert euch über zuverlässige Quellen. Das Unternehmen hat eine eigene Corona-Hotline eingerichtet. Zudem informieren wir als Betriebsrat und IG Metall über unsere bekannten Kanäle. Auch wir, der Betriebsrat, die VKL und die IG Metall informieren euch über die aktuelle Entwicklung.
Mark Seeger: Auch uns als VKL werden Fragen von unseren Kolleginnen und Kollegen gestellt. Uwe, wir würden dich bitten, einige dieser Fragen zu beantworten, weil sie alle interessieren könnten.
Frage: Bekommen wir Passierscheine von Volkswagen, um nachzuweisen, dass wir zur Arbeit fahren? Einige Arbeitgeber habe diese wohl schon ausgestellt.
Uwe Fritsch: Dieser Nachweis wird bei unserem Wiederanlauf nicht nötig sein.
Frage: Kollegen aus Corona-Risiko-Gebieten dürfen 14 Tage das Werk nicht betreten. Wie erkenne ich, ob ich aus einen Risikogebiet komme? Ich habe auch Kollegen aus Berlin und Sachsen-Anhalt.
Uwe Fritsch: Auf den Corona-Infoseiten des Unternehmens und den aktuellen Personaltelegrammen sind die Länder und Regionen veröffentlicht. In erster Linie sind dies Länder wie Italien/ Österreich und Spanien. Dort finden sich auch alle weiteren wichtigen Informationen.
Frage: Wie sollen Abstände in der Instandhaltung (insbesondere bei Störungen) eingehalten werden?
Uwe Fritsch: Es wird Arbeitssituationen geben, wo das nicht gewährleistet werden kann, dort wird mit Masken gearbeitet werden müssen
Frage: Gibt es Mundschutz für alle?
Uwe Fritsch: Es soll sichergestellt werden, dass ausreichend vorhanden sind. Viel wichtiger aber, die Entzerrung der Arbeitsplätze ist erfolgt und Arbeitsplatzbegehungen haben stattgefunden. Präventive Maßnahmen wurden getroffen und in Ausnahmebereichen werden Masken nach Verfügbarkeit ausgegeben.
Frage: Gibt es Desinfektionsmittel?
Uwe Fritsch: Volkswagen arbeitet daran.
Frage: Wie werden Abstände in den Waschkauen eingehalten?
Uwe Fritsch: Die Arbeitskleidung soll bereits zu Hause angezogen werden und die Situation in den Waschkauen wird derzeit optimiert. Damit wird es in den Waschkauen zur Entzerrung kommen.
Frage: Wie sieht es mit den Risiko-Patienten aus? Wie lange müssen sie zu Hause bleiben und wie werden Sie bezahlt? (Flex-Stunden, Kurzarbeitergeld oder krank?)
Uwe Fritsch: Beschäftigte, die aus gesundheitlichen Gründen zu einer vom Gesundheitswesen bestätigten Risikogruppe gehören, dürfen nicht auf als gefährdet eingestuften Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Wenn mobile Arbeit möglich ist, sollte diese Beschäftigtengruppe von Zuhause arbeiten.
Mark Seeger: Die ersten beiden Online-VL-Informationen haben stattgefunden. In Summe haben daran mehr als 140 Kolleginnen und Kollegen teilgenommen. Wie bewertest du diese Instrument und wie wollen weiterhin die Informationen der Vertrauensleute gewährleisten?
Uwe Fritsch: Wir werden sicherlich in Zukunft häufiger auf dieser Art informieren. Deshalb werden wir das Instrument Skype-Konferenz für uns weiterentwickeln. Daneben werden wir aber auch weiterhin an den guten und bewährten Instrumenten festhalten. Sobald es möglich ist, finden aber die VL-Schichtversammlungen wieder statt. Diese Nähe und Möglichkeit zur Diskussion mit den Vertrauensleuten fehlt mir und ist durch nichts Anderes zu ersetzen.
Abschließend möchte ich euch nochmal einige Dinge mit auf den Weg geben: Wir bei Volkswagen werden gemeinsam die schwierige Situation durchstehen. Hierzu müssen wir zusammenhalten und Abstand halten, um andere und uns zu schützen.
Ich wünsche euch allen und euren Familien frohe Ostern. Bleibt gesund!
Mark Seeger: Danke Uwe. Wir als VKL wünschen dir und auch euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, und euren Familien ein frohes Osterfest. Bleibt Gesund.
Zum Wiederanlauf: Betriebsrat regelt Vorgaben für Gesundheitsschutz
Gesundheit vor Geschwindigkeit: Eine Betriebsvereinbarung legt klare Regeln und Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten fest. Darauf haben sich Gesamtbetriebsrat und Unternehmen geeinigt. Wie es mit den Fahrweisen für den Wiederanlauf weitergeht, dürfte nach Ostern konkreter werden.
Maßnahmenkatalog - Der vereinbarte Maßnahmenkatalog umfasst mehr als 90 Einzelpunkte. Einige der Vereinbarungen in der Übersicht:
Phasen im Wiederanlauf
Der Wiederanlauf wird von einem umfangreichen und ganzheitlichen Maßnahmenkatalog begleitet. Dabei ist in Phase 1 des Wiederanlaufs die Intensität der Maßnahmen maximal ausgeprägt, und schwächt sich entsprechend des Verlaufs der Pandemie bis hin zu Phase 4 (Normalbetrieb) sukzessive ab. Die Zeitpunkte für den Übergang in die jeweilige nächste Phase werden zwischen den Betriebsparteien gemeinsam festgelegt.
Mund- und Nasenschutz: In der Phase 1 besteht Pflicht in kritischen Bereichen – also in Bereichen, in denen der Mindestabstand von 1,5 Meter zwischen zwei Beschäftigten unterschritten wird. In anderen Bereichen ist die Freiwilligkeit beim Tragen von Mund- und Nasenschutz vereinbart. Das Material wird zentral beschafft.
Handschuhe: Handschuhe werden nicht als Pflicht für den Corona-Schutz gesetzt, sie werden aber für eine freiwillige Nutzung zur Verfügung gestellt.
Temperatur messen: Die Beschäftigten werden aufgefordert, täglich vor Arbeitsbeginn die Körpertemperatur zu messen und eigenverantwortlich einen kurzen Fragenkatalog durchzugehen. Wer diesen Selbsttest nicht besteht, geht gar nicht erst zur Arbeit und bleibt nach Rücksprache mit der Führungskraft zuhause.
Handhygiene: Seife und Desinfektionsmittel werden bereitgestellt – in Spendern und als Putztücher. Über die hohe Bedeutung einer richtigen und regelmäßigen Handreinigung wird flächendeckend kommuniziert.
Umkleiden/Waschkauen: Ob Umkleiden und Waschkauen zeitweilig geschlossen werden, entscheiden die Marken individuell. Klar ist, dass die Abstands- und Hygieneregeln immer umzusetzen sind. Die genauen Regelungen werden lokal vor Ort mit den Betriebsräten vereinbart.
Reinigungsaufwand: Die Arbeiten für Reinigung, Hygiene und Infektionsprävention im Fertigungs- und Logistikbereich werden aufgezeigt. Standards werden definiert, umgesetzt und kontrolliert.
Schichtentkopplung: Pausen- und Schichtmodelle werden von den Marken und Werken individuell festgelegt. In Phase 1 wird Schichtentkopplung empfohlen.
Betriebsrestaurants: Über das Schließen und Öffnen der Betriebsrestaurants wird lokal in den Werken entschieden.