Warum Warnstreiks richtig und wichtig sind

Themenspezial: Fragen und Antworten zu Warnstreiks


Um den Druck bei den Tarifverhandlungen zu erhöhen, ruft die IG Metall zu Warnstreiks auf. Beginn und Dauer legt der jeweilige IG Metall-Bezirk fest. Doch was können Warnstreiks bewirken? Sind sie rechtlich zulässig? Wir beantworten die wichtigsten Fragen. "Miteinander für morgen" lautet das Motto der IG Metall für ihre aktuelle Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie. Die Gewerkschaft fordert für die rund 3,9 Millionen Beschäftigte sechs Prozent mehr Geld und eine Wahloption, ihre Arbeitszeit für bis zu zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden die Woche zu verringern. Seit Ende November 2017 wird in den Tarifgebieten mit den Arbeitgebern verhandelt - bisher ohne Ergebnis.

 

Die Friedenspflicht ist am 31. Dezember 2017 ausgelaufen. Seitdem kann die IG Metall zu Warnstreiks aufrufen.


[Quelle: YouTube / IG Metall) - Die IG Metall erklärt den Warnstreik]

 

Im Zusammenhang mit Tarifverhandlungen hört man immer wieder von Warnstreiks. Die IG Metall erklärt, was es damit auf sich hat: Wozu dienen Warnstreiks? Wer darf sich wie daran beteiligen? Was ist der Unterschied zu einem "normalen" Streik?



Was ist ein Warnstreik?

Mit den Warnstreiks beteiligen sich die Beschäftigten aktiv an den Tarifverhandlungen. Sie stärken und stützen nicht nur die Position der IG Metall, sondern üben auch öffentlich Druck auf die Arbeitgeber aus. Warnstreiks sind befristete Arbeitsniederlegungen von einigen Stunden. Damit wollen die IG Metall und die Beschäftigten die Arbeitgeber zu einem Angebot bewegen oder gegen ein zu geringes Angebot protestieren. Warnstreiks sind ein effektives Druckmittel, um gute Tarifstandards für Mitglieder durchzusetzen. Der Warnstreik unterscheidet sich von einem „echten“ Streik nur dadurch, dass ihm kein endgültiges Scheitern der Verhandlungen und keine Urabstimmung vorausgegangen sind. 

  • Warnstreiks sind zulässige Mittel des Arbeitskampfes. Das hat das Bundesarbeitsgericht schon seit langem in einer grundlegenden Entscheidung festgestellt (BAG, Urteil vom 21.06.1988 [AZR 1 AZR 651/86]). Alle Fragen, die die grundsätzliche Rechtmäßigkeit eines Streiks oder einzelner Streikmaßnahmen betreffen, sind für den Warnstreik nicht anders zu beantworten, als für den „echten“ Erzwingungsstreik.

Warum darf ich streiken?

Wer streikt, kann sich direkt auf das Grundgesetz berufen. Nach Art. 9 III S. 1 GG ist das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, für jedermann und für alle Berufe gewährleistet („Vereinigungsfreiheit“). Die Rechtsstellung der Gewerkschaften ist hier verankert. Die Vereinigungsfreiheit wäre aber nichts wert, wenn die Gewerkschaften nicht in der Lage wären, ihre Interessen mit Nachdruck zu fordern. Deshalb erfasst der grundrechtliche Schutz auch die Möglichkeit des Streiks, also der kollektiven Arbeitsniederlegung. Wäre dies anders, wären die Gewerkschaften auf „kollektives Betteln“ (so das Bundesarbeitsgericht [BAG] in seinem Urteil) angewiesen, was nicht im Sinne des Grundgesetzes ist.

 

Darf ich also nur streiken, wenn ich Gewerkschaftsmitglied bin?

Nein, jeder darf streiken, auch wenn er nicht in einer Gewerkschaft organisiert ist. Entscheidend ist, dass der Streik von einer Gewerkschaft organisiert ist. Trotzdem kann es, insbesondere im Hinblick auf Streikgeld besser sein, bei einem Streik Mitglied einer Gewerkschaft zu sein.

 

Muss ich befürchten, dass ich eine Abmahnung erhalte oder sogar gekündigt werde, wenn ich streike?

Um es nochmal deutlich zu sagen: Wer streikt, macht von einem Grundrecht Gebrauch. Er darf deshalb nicht von seinem Arbeitgeber gemaßregelt werden (Maßregelverbot). Während eines Streiks sind die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag aufgehoben („suspendiert“), sie bestehen erst dann wieder, wenn der Streik vorbei ist. Wer sich an einem Streik beteiligt, für den gilt die Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung nicht, deswegen kann er auch keine Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung erhalten, eine solche Abmahnung oder gar Kündigung ist unwirksam. Dasselbe gilt, wenn der Arbeitgeber nach Ende des Streiks Kündigungen wegen Teilnahme an dem Streik ausspricht. Auch diese sind unwirksam. Auch aus diesem Grund ist es sinnvoll, Mitglied der Gewerkschaft zu sein, denn diese gewährt bei Bedarf kostenlosen Rechtsschutz.

 

Wer darf zum Warnstreik aufrufen?

Sobald die Friedenspflicht endet, sind Warnstreiks möglich. Zu den Arbeitsniederlegungen - egal ob Warnstreik oder Streik - darf ausschließlich die Gewerkschaft aufrufen. Bei der IG Metall ist das in der Regel die jeweilige Bezirksleitung oder, als deren Vertreter, die örtliche IG Metall. Mit dem Aufruf werden Uhrzeit, Dauer und in der Regel auch Treffpunkt für die Aktion vor Ort festgelegt.

 

Was ist eine Friedenspflicht?

Friedenspflicht bedeutet, dass während der Laufzeit eines gültigen Tarifvertrags keine Arbeitskampfmaßnahmen durchgeführt werden dürfen. Nach Ende der Friedenspflicht kann die IG Metall zu Warnstreiks aufrufen. Das tut sie in der Regel auch, um den Verhandlungs- und Einigungsdruck auf die Arbeitgeber zu erhöhen.

 

Sind Warnstreiks erlaubt?

Ja. Warnstreiks sind wie Vollstreiks verfassungsrechtlich als Grundrecht garantiert. Das Streikrecht leitet sich ab von der "Koalitions- und Vereinsfreiheit", das im Grundgesetz verankert ist (Artikel 9 Absatz 3). Darum darf sich jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer an einem Warnstreik beteiligen - ob gewerkschaftlich organisiert oder nicht. Wer an einem Warnstreik teilnimmt, muss keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen befürchten. Arbeitgeber dürfen Warnstreikende nicht maßregeln und weder während noch nach der Arbeitsniederlegung kündigen. Beschäftigte, die an Warnstreiks der IG Metall teilnehmen, können nicht persönlich haftbar gemacht oder in Regress genommen werden. Zwar drohen die Arbeitgeber derzeit mal wieder mit juristischen Konsequenzen und behaupten, die Warnstreiks seien rechtswidrig. Das sind jedoch lediglich Störmanöver, um die Beschäftigten zu verunsichern. Tatsächlich sind die Tarifforderungen der IG Metall und damit auch die Teilnahme an Warnstreiks rechtmäßig.

 

Wie sieht es mit Azubis aus?

Außerhalb des Berufsschulunterrichts dürfen sich auch alle Auszubildenden am Warnstreik beteiligen. Voraussetzung ist nur, dass Gegenstand des angestrebten Tarifvertrages auch Regelungen sind, von denen Auszubildende profitieren. Das wird in der Regel der Fall sein. Schließlich fordert die IG Metall auch für sie mehr Geld.

 

Und Leihbeschäftigte?

Leiharbeiter dürfen an Warnstreiks teilnehmen. Sie dürfen nicht als Streikbrecher eingesetzt werden. Dies ergibt sich aus den DGB-Tarifverträgen zur Leiharbeit, aber auch aus dem seit 1. April 2017 geltenden Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das ein solches Verbot vorsieht. Unzulässig ist sowohl, dass Leihbeschäftigte im Entleihbetrieb direkt Tätigkeiten von Beschäftigten übernehmen, die sich im Arbeitskampf befinden. Oder auch nur mittelbar von Beschäftigten, die die Tätigkeiten von Beschäftigten übernommen haben, die sich im Arbeitskampf befinden. Leiharbeitnehmer haben gemäß § 11 Abs. 5 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ein Leistungsverweigerungsrecht. Der Verleiher hat den Leiharbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass er in diesen Fällen das Recht hat, seine Arbeitsleistung zu verweigern. Die Verleiher müssen bei der Wahrnehmung des Leistungsverweigerungsrechts oder beim Bestehen des tarifvertraglichen Einsatzverbotes entweder das Entgelt weiterzahlen oder den Leiharbeitnehmer in einem anderen Betrieb einsetzen.

 

Muss ich mich von der Arbeit abmelden + ausstempeln, wenn ich streiken will ?

Nein, weil die arbeitsvertraglichen Pflichten suspendiert sind. Dies gilt sowohl für die Hauptpflicht (Arbeitsleistung), als auch für Nebenpflichten (Abmelden). Eine Pflicht zum Abmelden wegen Streiks würde eine psychische Hürde bedeuten, die mit der Bedeutung des Streikrechts als Grundrecht nicht zu vereinbaren wäre. Die Teilnahme an Arbeitskampfmaßnahmen sind kollektive Arbeitsniederlegungen, keine "Freizeit". Deshalb muss die Abwesenheit nicht dokumentiert und Fehlstunden müssen nicht nachgearbeitet werden. Wenn man vor Beginn des Warnstreiks ausstempeln würde, hätte man ja gewissermaßen Freizeit. Beim Streik geht es aber gerade darum, dass die Arbeitsleistung nicht erbracht wird. Fehlstunden müssen also nicht nachgearbeitet werden. Dies gilt insbesondere bei Gleitzeit. Fazit: „Wer ausstempelt, streikt nicht“.

 

Muss ich mich beim Vorgesetzten abmelden, wenn ich einem Warnstreik- oder Streikaufruf folge?

Nein. Wenn die IG Metall zum Warnstreik oder Streik aufgerufen hat, sind die arbeitsvertraglichen Pflichten für die Dauer des Streiks aufgehoben.

 

Darf der Arbeitgeber mir für die ausgefallene Arbeit Stunden vom Arbeitszeitkonto streichen?

Konsequenter Weise ist auch dies verboten. Ein Verrechnen mit Gutstunden ist nur dann möglich, wenn Arbeitsleistung trotz grundsätzlicher Pflicht zum Arbeiten nicht erbracht werden, etwa beim „abfeiern“. Das ist beim Streik aber gerade nicht der Fall, denn die Arbeitspflicht ist suspendiert.

 

Kann der Arbeitgeber mich zu Notarbeiten zwingen?

Auch hier ist die klare Antwort: Nein! Natürlich kann es nicht Sinn und Zweck eines Streiks sein, beim Arbeitgeber oder Kunden irreversible Schäden anzurichten, so dass zwingend notwendige Arbeiten vom Streik ausgenommen sind. Aber hierüber haben die streikführenden Parteien, also Gewerkschaft und Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverband zu verhandeln. Eine einseitige Festlegung durch den Arbeitgeber kommt nicht in Frage. Dies liegt auch daran, dass der oft Arbeitgeber eine andere Ansicht darüber hat, was zwingend notwendige Arbeiten sind, als die Arbeitnehmer*innen. Notwendig ist nämlich, auch wiederum der grundrechtlichen Dimension des Streiks geschuldet, nur, was bei Unterlassen dazu führen würde, dass die Axt an die Existenzgrundlage des Arbeitgebers gelegt würde. Dazu reicht eine Störung des Betriebsablaufs nicht aus.

 

Habe ich Anspruch auf Entgelt, wenn ich einem Warnstreik- oder Streikaufruf folge?

Nein. Bei einem Streik gibt es keine Arbeitspflicht, aber eben auch keine Vergütungspflicht des Arbeitgebers. Er kann daher für Streikzeiten das Entgelt kürzen, ebenso die Ausbildungsvergütungen. Er muss dies aber nicht tun.

 

Und was ist, wenn der Streik rechtswidrig ist?

Eine wirksame Suspendierung der Arbeitspflicht liegt nur dann vor, wenn der Streik, gemessen an den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichtes, rechtmäßig ist. Dies ist der Fall, wenn eine Gewerkschaft zum Streik aufruft und tariflich regelbare Ziele erstreiken will. Weitere Voraussetzung ist nur noch, dass der Streik nicht unverhältnismäßig ist. Auch hiervon sollte sich Arbeitnehmer*innen aber nicht abschrecken lassen: Wegen der grundgesetzlich geschützten Stellung des Streiks läge eine Unverhältnismäßigkeit nur dann vor, wenn der Streik komplett aus dem Ruder läuft. Insgesamt sind Arbeitnehmer*innen, die sich an Warnstreiks von DGB-Gewerkschaften beteiligen, auf der sicheren Seite und brauchen sich keine Gedanken machen über die Rechtmäßigkeit des Streiks.

 

(Quelle: IG Metall | DGB Rechtsschutz (Dr. Till Bender)